SÜCHTIG NACH LIEBE:

PEGGY PARNASS 


An dieser Stelle möchte ich auf CLIXXUN.DIGITAL eine Frau vorstellen, die mein Leben stark beeinflusst hat. Die in Hamburg lebende Peggy Parnass bewegt mich mit ihren besonderen Büchern bereits seit dem Jahr 1987, als ich ihr zum ersten Mal begegnen durfte. So war es für mich auch klar, sie 1993 in dem von mir gestalteten LIVE-Stadtmagazin mit ihren bis dahin erschienenen Werken zu portraitieren. 

PEGGY PARNASS

 HOLOCAUST-ÜBERLEBENDE

SÜCHTIG NACH LEBEN 

MIT STEPHAN LEIFELD

„Wie geht es Dir?“ lautet ihre erste Frage an mich, nachdem wir darüber gesprochen haben, wie viel zu lange wir beide nicht miteinander telefoniert oder gesprochen haben. Zuletzt war ich noch mit meiner ganzen Familie in Hamburg gewesen. Wir haben Peggy in einem Café auf der langen Reihe getroffen. Meine Familie ist bis heute beeindruckt von der Energie und dem Wissen dieser Frau. …Es geht uns beiden gut, stellen wir fest. 


Peggy vermisst etwas ihre frühere Wohnung, die komplett grün gestaltet und eingerichtet war. Zahllose Bücher in Regalen und auf allen möglichen und unmöglichen Plätzen. Den Baum in der Mitte des Hofes, direkt vor ihrer früheren Adresse. Unentwegt habe sie in ihrem Leben immer wieder intensiv an ihre Eltern denken müssen. Vor allem auch an Tante Flora. Wir sprechen dann über unsere Begegnungen. Wie der Vater einer früheren Freundin von mir, mit ihr zusammen gewesen ist, wir uns dadurch das erste Mal begegnet sind. Wie ich später nochmal bei ihr persönlich zu Besuch gewesen bin, um in den Stadtmagazinen der 90er Jahre im Ruhrgebiet ihre besonderen Bücher den Leserinnen und Lesern nahezubringen. Ich weiß noch wie gestern, als sie die Tür aufgemacht hat, mit ihrem besonderen Lächeln. „Du hast aber schmale Handgelenke“, stellte sie fest, „wie ein Kartenspieler“. Jedes Mal ist mir aufgefallen, wie sehr sie jedes Detail an ihren Mitmenschen, so auch bei mir, bemerkt hat. So eine wache, kluge und tolle Frau. Inzwischen ist sie 95 Jahre alt… und den Gesprächsthemen nach, immer noch „Süchtig nach Leben“… hat sie vor allem Sinnlichkeit und Liebe in ihrem Wortschatz. 


Peggy Parnass ist den meisten Menschen als Schauspielerin, Gerichtsreporterin, Kolumnistin und Autorin aus der Metropolregion Hamburg bekannt. Eine direkte und scharfzüngige Art zu schreiben, haben sie zu einer sehr streitbaren Journalistin der Bundesrepublik gemacht. Wer ihre Bücher und ihr Leben betrachtet hat, weiß zudem, dass sie den Holocaust überlebt hat. Als Kind und Jüdin. Manche kennen sie auch als Skatspielerin. Daher auch ihr Kennerblick für meine Handgelenke, vermutlich. Aber in allererster Linie ist Peggy eine aufmerksame Zuhörerin, immer interessiert am Leben anderer. 


Ihr Vater Simon Pudl Parnass und ihre Mutter Hertha Parnass ( geb. Emanuel ) wurden im Vernichtungslager Treblinka von den Nationalsozialisten ermordet. 1939 wurde Parnass als Kind mit ihrem vierjährigen Bruder Gady mit einem Kindertransport nach Stockholm gebracht. Während der folgenden sechs Jahre lebte sie in zwölf verschiedenen Pflegefamilien. Kurz vor Ende des Krieges kamen die Kinder zu einem Onkel nach London, der als einziger der Familie durch Flucht überlebt hatte. Dort lebte sie drei Jahre zusammen mit ihrem Bruder, der später Engländer wurde, während Peggy zurück nach Schweden ging und die schwedische Staatsbürgerschaft annahm. Dort gebar sie 1951 auch ihren Sohn Kim, der in jungen Jahren als Schauspieler tätig war. Peggy Parnass studierte in Stockholm, London, Hamburg und Paris. Seit ihrem 14. Lebensjahr erarbeitete sie sich ihren Lebensunterhalt durch ihre Sprachkenntnisse als Sprachlehrerin, Filmkritikerin, Kolumnistin und Dolmetscherin für die Kriminalpolizei. Sie arbeitete als Schauspielerin in Film und Fernsehen und übersetzte Märchen. Sie schrieb 17 Jahre lang Gerichtsreportagen für die Monatszeitschrift „konkret“. Sie hielt Lesungen auch aus ihren Büchern, sang an Theatern in Deutschland, der Schweiz, Österreich und Luxemburg, arbeitete für Rundfunk und Fernsehen. Früher organisierte sie sehr beliebte „Hoffeste“ in ihrem Wohnhaus in der Langen Reihe 84, wo auch die Schauspieler Monika Bleibtreu und Peter Maertens ihre Nachbarn waren. Noch immer ist Peggy im Stadtbild präsent, ob auf dem Titel eines Stadtteilführers oder als Wandmalerei. In dem Literaturhotel Wedina wurde sogar eine Wohnung nach ihr benannt, die von ihrer Künstler-Freundin Tita do Rêgo Silva gestaltet wurde, mit der sie ihr zuletzt erschienenes Buch „Kindheit“ umgesetzt hat. 


Ihre Lebensgeschichte verbindet Peggy Parnass mit vielen jüdischen Menschen in der Nazizeit. In jungen Jahren stritt  sie mit Ralph Giordano, war befreundet mit Ulrike Meinhof und Kiezgrößen wie Domenica Niehoff und Wolli (Köhler) dem Indienfahrer; schrieb ihre ersten Reportage über den „Salambo“-Betreiber René Durand. Ihre zahlreichen Liebhaber waren immer jünger als sie. Selbst Udo Lindenberg signierte eine seiner Platten "für Peggy Panther". 


Bereits im schwedischen Exil schrieb sie Kolumnen über Deutschland für die Zeitungen „Ny Dag“ und „Aftonbladet“, später für Konkret, die Hamburger Rundschau u.a. - nie distanziert, sondern immer mit einem besonderen Blick auf die Menschen, egal ob Nazi (Dr. Ludwig Hahn), Mörder (Fritz Honka) oder Messerstecher (Freunde im Wohnlager). Ihre Prozessbeschreibungen aus 17 Jahren zeugen davon. Als wäre man selbst dabei: 81 der 500 Gerichtsreportagen landen 1978 in ihrem Buch "Prozesse" - ein zeitlos lesenswertes Werk! Dieses Buch habe ich von ihr 1987 signiert, mit einer persönlichen Widmung, erhalten. 

„Ganz viel Liebe“ hat sie mir gewünscht, für mein Leben - auch darüber sprechen wir beide, in dem neuerlichen Telefonat. 


Ich erkläre ihr nochmals, wie sehr ich sie schätze, geradezu verehre. Ihre Haltung und ihr umfangreiches Wissen, ihre Empathie und soziale Intelligenz. Etwas berührt offenbar, räumt sie ein, bei der Größe meiner Familie, habe sie mir wohl mit dem Wunsch „ganz viel Liebe“ auch etwas Glück gebracht. Peggy Parnass formuliert stets auf den Punkt, wirkt immer mutig - eine Journalistin mit Haltung.

Wer sie kennt, weiß aber auch, dass die nach außen so taffe, unbeugsame, kämpferische Frau, tatsächlich innerlich auch verletzlich, ängstlich und fürsorglich ist – wie bei ihrem Sohn. Sie liebt das Leben und lebt im Präsens. Irgendwo habe ich gelesen, sie prostet heutzutage gerne mit Traubensaft im Sektglas mit guten Freunden an einem schön gedeckten Tisch mit weißen Servietten "aufs Leben".

Ich freue mich schon darauf, demnächst nach Hamburg zu fahren. Sehr gerne möchte ich Peggy Parnass noch so viele Fragen stellen, bin auf ihre Antworten schon sehr erfreut … und werde dann Traubensaft dabei haben… und vielleicht auch meine Familie.

Peggy Parnass

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